Fliegender Gerichtsstand bzw. Forum Shopping bei Internetstreitigkeiten bald zu Ende?

Deutsche Gerichte befassen sich nunmehr weit über 20 Jahre mit Internet spezifischen Rechtstreitigkeiten. Doch noch immer fehlt eine verlässliche Rechtsprechung zu entscheidenden Rechtsfragen, so zum zuständigen Gericht. Das macht die anwaltliche Beratung schwierig und führt für Mandanten zuweilen zu unbefriedigenden Ergebnissen. Hintergrund ist die bisherige Rechtsprechung zur Frage der örtlichen Gerichtszuständigkeit. Rechtsverletzungen die über das Internet begangen werden, sind regelmäßig überall abrufbar. Das führt wegen § 32 ZPO dazu, dass - jedenfalls theoretisch – abweichend vom Grundsatz des Beklagtenwohnorts bzw. –sitz jedes Gericht in Deutschland zur Entscheidung örtlich zuständig sein kann, wenn eine unerlaubte Handlung mit im Spiel ist. Abmahnanwälte haben diesen Umstand in der Vergangenheit ausgenutzt und das für Mandanten wohlgesonnene Gericht ausgesucht, um schnelle Entscheidungen oder möglichst hohe Schadensersatzforderungen zugesprochen zu bekommen. Das Gesetz zum Schutz vor unseriösen Geschäftspraktiken hat dieser Strategie in Urheberrechtsstreitigkeiten zum Teil einen Riegel vorgeschoben. In Altfällen und in Internetstreitigkeiten ohne Bezug zum Urheberrecht ist die Rechtslage nach wie vor umstritten.

Ein Praxisbeispiel: In einer wettbewerbsrechtlichen Streitigkeit wegen fehlerhafter Widerrufsbelehrung hatte die Klägerin (Sitz: Göppingen) den Beklagten (Sitz: Borken/Westf.) Klage wegen der Abmahnkosten vor dem Landgericht Ellwangen erhoben. Für die Klage wäre nach dem allgemeinen Prinzip an sich das Sitz-Gericht, das Landgericht Münster, zuständig gewesen. Als Ausnahme wäre wohl auch noch das Landgericht Ulm zuständig, da die Klägerin dort die Verletzungshandlung abgerufen hatte, so dass § 32 ZPO in Betracht kam. Zum Landgericht Ellwangen bestand kein besonderer Bezug. Das Gericht hatte jedoch in der Vergangenheit bereits mehrere Klagen der Klägerin „durchgewunken“. In dem von uns vertretenen Fall hatte das Gericht mit der Zustellung der Klage Termin anberaumt und das persönliche Erscheinen des Geschäftsführers angeordnet und zugleich einen schriftlichen Vergleichsvorschlag im dreistelligen Bereich unterbreitet. Wegen recht guter Erfolgsaussichten hatte sich die Beklagte grundsätzlich zum Kampf entschlossen. Allerdings wären u.a. wegen der erforderlichen Anreise mit Übernachtung erhebliche Prozesskosten angefallen, die in der Summe die Klageforderung überstiegen. Zudem hatte der zuständige Richter - telefonisch auf die Unzuständigkeit angesprochen - durchblicken lassen, dass „manche Gerichte das anders sehen“. Wegen des hohen zeitlichen Aufwands und des korrespondierenden Prozesskostenrisikos entschloss sich die Mandantin daher, den Vergleich zu schließen.

Anders das Amtsgericht Köln in einem vergleichbaren Fall. Nach zweijährigem Kampf hatte sich das Gericht durch Beschluss für unzuständig erklärt und die Sache an das Amtsgericht Bochum verwiesen (Beschluss vom 2.12.2013, 137 C 523/12). Im dortigen Termin zur mündlichen Verhandlung hatte die Klägerin die Klage dann aus Gründen, die das Amtsgericht Köln zunächst anders gesehen hatte, zurück genommen. Das Amtsgericht Köln hatte seine Rechtsprechung geändert und für den Ausnahmegerichtsstand nach § 32 ZPO einen örtlichen Bezug gefordert. Dazu reiche die theoretische Abrufbarkeit allein nicht aus.

Noch deutlicher hat es nunmehr auch das Amtsgericht Hamburg (Urt. v. 11.10.2013, Az.: 22a C 93/13) ausgedrückt. Der fliegende Gerichtsstand in Internetstreitigkeiten mache den Ausnahmegerichtsstand zum Regelgerichtsstand. Das sei vom Sinn und Zweck der Vorschrift, der Schaffung einer Orts- und Beweisnähe zwecks Herbeiführung kostengünstiger Entscheidungen, nicht gedeckt. Das Gericht spricht hier insbesondere die Kosten des Erscheinens der Parteien an. Die Option der willkürlichen Bestimmung des zuständigen Gerichts verstoße aus diesem Grunde gegen das verfassungsrechtlich gewährte Gebot des gesetzlichen Richters. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Denn dem Rechtsfrieden dient es kaum, wenn Kostenerwägungen einschlägige Kanzleien strategisch zur Gewinnmaximierung und Gerichte zur schnellen Prozesserledigung motivieren. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage wäre mehr als begrüßenswert.