Zur Bedeutung der Noten im juristischen Staatsexamen

Für Juristen und Juristinnen gilt ein besonderes Notensystem, eingeteilt in die Notenbezeichnungen "sehr gut", "gut", "vollbefriedigend", "befriedigend", "ausreichend", "mangelhaft" und "ungenügend". Um das erste oder zweite Staatsexamen zu bestehen ist jeweils mindestens die Gesamtnote "ausreichend" erforderlich. Soweit noch (fast) normal. Doch der Teufel steckt im Detail. So bedeutet die Note "vollbefriedigend" "eine über den durchschnittlichen Anforderungen liegende Leistung". Im Klartext: Die Mehrheit erreicht diese Note nicht. Sonst wären die Absolventen ja auch nicht überdurchschnittlich. Juristen und Juristinnen, die den Sprung in diese Notenstufe schaffen, werden auch als "Prädikatsjuristen" bezeichnet, vergleichbar vielleicht mit einem Wein mit Auszeichnung. Ihnen steht die Welt offen, gleich ob Richterdienst, Staatsanwaltschaft, Notariat, Verwaltungsjurist oder Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin in einer Großkanzlei, die sämtlichst in der Vergangenheit überdurchschnittliche Examina vorweisen mussten, um eine Chance für ein Einstellungsgespräch zu erhalten. Zu Recht! Denn die Gesellschaft erwartet überdurchschnittliche Qualifikationen der Jurist*innen, die z. B. über lebenslange Freiheitsstrafen entscheiden, diese anklagen oder die sie als Verteidiger*in zu verhinden versuchen. Anderenfalls verlöre die juristische Expertise in der Gesellschaft an Akzeptanz, was zweifellos zu Disruptionen gesellschaftlicher Strukturen führen dürfte, gegebenenfalls zu einer Erosion des Rechtsstaats.

Das Problem

Die Nachfrage nach Prädikatsjuristen ist angesichts der Bevölkerungsentwicklung längst deutlich größer als das Angebot. Viele Top-Juristen und -Juristinnen aus der Babyboomergeneration (die im Zeitraum von 1955 bis 1969 Geborenen) scheiden altersbedingt aus. Viel zu wenige aus den geburtenschwachen Jahrgängen können die Löcher als "Prädikatsjurist*in" stopfen.

Die Lösung

Angesichts des Problems bedarf es daher bei Bewerbern für juristische Berufe eines genaueren Hinschauens. Wenn zu Boomerzeiten die Prädikatsexamina eine gewisse Gewähr für die Qualität der verantwortungsvollen Berufsausübung zu gewährleisten schienen (nicht immer traf das auch zu), ist angesichts der demoskopischen Entwicklung und des Bedarfs an Nachwuchs die rechnerisch ermittelte Gesamtnote "Prädikat" im ersten und zweiten Staatsexamen kein KO-Kriterium mehr für den Zugang zum gewünschten Berufszweig, so beispielsweise zum Richteramt. Aus der Not geboren haben die Bundesländer - sie sind für die Einstellung der Jurist*innen in den Justizdienst der Länder zuständig - die Notenanforderungen heruntergeschraubt. Das erlaubt das Benotungssystem nach den Juristenausbildungsgesetzen der jeweiligen Bundesländer. Denn die "Gesamtnote" ist nicht etwa nur die die nominelle Bezeichnung "befriedigend", "vollbefriedigend", "gut" etc., sondern eine, die innerhalb der Notenstufen durch eine rechnerisch ermittelte Punktzahl konkretisiert wird. Dabei werden die Klausurergebnisse, die Vortragsgbewertung und die Bewertung des Prüfungsgesprächs jeweils mit einem Koeffizienten versehen ermittelt und zur Gesamtnote berechnet. Herauskommen kann zum Beispiel die Punktzahl 7,85, was der Gesamtnote "befriedigend mit 7,85 Punkten" entspräche.


Einordnung Punktzahl im Staatsexamen NRW - § 17 Abs. 2 JAG NRW

14,00 - 18,00 Punkte: sehr gut
11,50 - 13,99 Punkte: gut
9,00 - 11,49 Punkte: vollbefriedigend
6,50 - 8,99 Punkte: befriedigend
4,00 - 6,49 Punkte: ausreichend
1,50 - 3,99 Punkte: mangelhaft
0 - 1,49 Punkte: ungenügend


In NRW hätte man mit der im Beispiel genannten Punktzahl von 7,85 bereits eine Chance auf den Einstieg in den Richterdienst. Im August 2023 lag die Mindestpunktzahl im 2. Staatsexamen bei 7,76 Punkten. Mit weiteren Qualifikationsnachweisen hat man sich hier bereits die Teilnahme an einem Assessment Center gesichert.

Für Berufseinsteiger

Nie waren die Chancen besser, über andere Qualifikationen als die Examensnoten zum Wunschberuf zu gelangen. Jeder Punkt in der Gesamtnote des Staatsexamens lohnt! Das gilt für den Einstieg in den Richterdienst, die Staatsanwaltschaft, den Verwaltungsjuristendienst, die Großkanzlei oder als Unternehmensjurist gleicher Maßen. Wie sehen die Chancen aus? Die nachfolgend zum Download angebotene Übersicht fasst die aktuellen Mindestvoraussetzungen für die Einstellung in die unterschiedlichen juristischen Berufe zusammen. Sie hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit und stützt sich auf die in den Quellenangaben genannten Veröffentlichungen von LTO und anderen.

Bedeutung der Punktzahl des juristischen Staatsexamens für den Berufseinstieg

Fazit

Der Weg, die Anforderungen an die Einstiegsvoraussetzungen in die verantwortungsvollen juristischen Berufe, sei es Justiz, Notariat, Großkanzlei etc., allein über eine Herabsetzung der Mindestpunktzahl aus den Ergebnissen der Staatsexamensnoten zu erreichen, ist gefährlich. Denn der Rechtsstaat lebt von der Akzeptanz seiner Bürger. Mit sorgfältiger Betrachtung der Add-Ons (z.B. Promotion oder LL. M.) und der Softskills (z.B. Teamfähigkeit oder Empathie), lässt sich das Delta zwischen Angebot und Nachfrage steuern. Das ist aufwändig. Das muss sich der Rechtsstaat aber leisten können. Die Bundesländer haben den Weg bereits beschritten. Großkanzleien auch. Das ist gut so.

Über Jörn Tröber, Fachanwalt für IT-Recht

Jörn Tröber, Partner und Kanzleigründer von TRÖBER@ legal, berät seit über 30 Jahren Mandanten in IT-rechtlichen Fragen. Als Fachanwalt für IT-Recht ist er insbesondere auf die Gestaltung und Verhandlung von IT-Verträgen spezialisiert.