Männlich, Weiblich, Divers? – Ein aktuelles Urteil des LG Frankfurt zur Angabe des Geschlechts zwingt Online-Händler zur Anpassung von Formularen

Worum geht es?

Die klagende Person buchte eine Fahrkarte über das Online-Formular eines deutschlandweit tätigen Eisenbahnkonzerns. Für den Buchungsvorgang und die weitere Abwicklung musste der Kunde dafür die Anrede „Herr“ oder „Frau“ wählen. Dabei stand der klagenden Person weder eine geschlechtsneutrale Anrede zur Verfügung, noch konnte das Feld freigelassen werden. Diese notwenige Festlegung zwingt Kund*innen zur Angabe eines Geschlechts, zu welchem diese sich möglicherweise gar nicht zugehörig fühlen.

Unternehmen könnten andere Grußformel verwenden

Dem gab das Landgericht Frankfurt a.M. (Urteil vom 03.12.2020 - 2-13 O 131/20) teilweise statt. Die obligatorische Auswahl der Anrede „Herr“ oder „Frau“ diskriminiere Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität.

Wenn z.B. die Rechnung des Kunden mit einer geschlechtsspezifischen Anrede versehen ist, mit welcher sich dieser jedoch nicht identifizieren kann, verletzte dies das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, welches auch die geschlechtliche Identität schütze.


"Für das Auftreten in einer bestimmten Geschlechtsidentität ist nach allgemeinem Verständnis die Anredeform von zentraler Bedeutung (BVerfG, Beschluss vom 15.08.1996 - 2 BvR 1833/95 = NJW 1997, 1632, 1633), denn hierüber vollzieht sich regelmäßig die Zuordnung zu einem Geschlecht. Nach allgemeinem Verständnis wird die Anrede "Herr" einer Person männlichen Geschlechts und die Anrede "Frau" einer Person weiblichen Geschlechts zugeschrieben. Daraus folgend wird eine Person, die mit "Herr" angesprochen wird, dem männlichen Geschlecht, und eine Person, die mit "Frau" angesprochen wird, dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Indem die beklagte Partei die klagende Partei zwingt, eine dieser beiden eindeutig geschlechtsspezifischen Anreden zu wählen, um ihre Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, zwingt sie die klagende Person sich einem dieser Geschlechter zuzuordnen, was ihrer Identität nicht entspricht und worauf die beklagte Partei auch keinen Anspruch hat, da für die von ihr erbrachten Dienstleistungen das Geschlecht des Vertragspartners völlig irrelevant ist und von ihr, wie sie selbst einräumt, lediglich für die Wahl der passenden - von ihr gewünscht geschlechtsspezifischen - Anrede verlangt wird."
(LG Frankfurt a.M., Urt. v.. 03.12.2020 - 2-13 O 131/20, zit. nach openjur.de, Rn 53)


Das Geschlecht sei weiterhin völlig irrelevant, um Dienstleistungen entgegen zu nehmen. Vielmehr könnten geschlechtsneutrale Anreden wie etwa „Guten Tag“ verwendet werden.


"Die Befolgung des Unterlassungsgebots ist der beklagten Person auch nicht deshalb unzumutbar, weil sich noch keine allgemeingültige Anrede für Personen aus dem heterogenen Kreise der Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität herausgebildet hat. Dies ist im Verhältnis zur klagenden Person irrelevant. Die klagende Person hat bereits zu erkennen gegeben, dass sie gegen ein "Guten Tag ..." nichts einzuwenden habe. Ferner ist die beklagte Person wie eingangs erläutert, überhaupt nicht verpflichtet, für die klagende Person eine Anrede zu verwenden. Das Unterlassungsgebot ist ebenso bei einem Verzicht auf eine Anrede erfüllt."
(LG Frankfurt a.M., Urt. v.. 03.12.2020 - 2-13 O 131/20, zit. nach openjur.de, Rn 75)


Ausblick

Die Entscheidung des Landgerichts Frankurt a.M. ist soweit ersichtlich noch nicht rechtskräftig. Sollte sie auch instanzgerichtlich bestätigt oder nicht mit der Berufung angefochten werden, wird auf viele Anbieter von Online-Dienstleistungen ein zum Teil hoher technischer Aufwand für das Einpflegen geschlechtsneutraler Formularfelder zukommen. Das dürfte nicht nur für alle Online-Geschäfte, sondern auch für alle Kontaktformulare auf werbenden Webseiten gelten. Eine alternativlose Pflicht zur Auswahl im Formularfeld Anrede zwischen Herr oder Frau sollte vermieden werden.

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Über Jörn Tröber, Fachanwalt für IT-Recht

Jörn Tröber, Partner und Kanzleigründer von TRÖBER@ legal, berät seit über 30 Jahren Mandanten in IT-rechtlichen Fragen. Als Fachanwalt für IT-Recht ist er insbesondere auf die Gestaltung und Verhandlung von IT-Verträgen spezialisiert.