Commercial-Chambers: Mehr Effizienz für internationale Verfahren

Inhaltsverzeichnis
  1. Unterschiede zwischen Commercial-Courts und Commercial-Chambers
  2. Vorteile in der internationalen Prozessführung
  3. Verhältnis zu anderen Zuständigkeiten
  4. Wo bestehen bereits Commercial-Courts und Commercial-Chambers?
  5. Musterklausel Commercial-Courts und Commercial-Chambers
  6. Praxistipp

Geschäftsbeziehungen sind heutzutage international und machen nur noch selten an Landesgrenzen Halt. Deutsche Unternehmen bieten ihre Waren und Dienstleistungen dabei im europäischen Binnenmarkt und auf der ganzen Welt an. Insbesondere bei IT-Unternehmen ist das inzwischen mehr Standard als Ausnahme. Da Deutsch weltweit nur in einer Handvoll Staaten gesprochen wird, ist für solche Verträge Englisch häufig die Sprache der Wahl. Landen solche Vertragsbeziehungen schließlich vor einem deutschen Gericht, kann das Probleme bereiten. Wenn nicht alle Verfahrensbeteiligten Deutsch sprechen – was sie jedoch nach § 184 S. 1 GVG grundsätzlich müssen – und für englischsprachige Urkunden unter Umständen Übersetzungen anzufertigen sind (§ 142 Abs. 3 ZPO), dann sind Verzögerungen und lange Verfahrensdauern vorprogrammiert.

Abhilfe schaffen hier sogenannte Commercial-Courts und Commercial-Chambers, in denen Verfahren aus bestimmten Rechtsgebieten vollständig in Englisch geführt werden können. Ab dem 01. April 2025 können solche Gerichte durch die Länder per Verordnung eingerichtet werden. Von dieser Möglichkeit haben beispielsweise bereits Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg Gebrauch gemacht.

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Unterschiede zwischen Commercial-Courts und Commercial-Chambers

Sowohl Commercial-Court als auch Commercial-Chambers bedürfen nach den mit dem Justizstandort-Stärkungsgesetz eingeführten § 119b Abs. 1 GVG bzw. § 184a Abs. 1 GVG jeweils der Verordnung durch die Landesregierung.

Commercial-Courts – bei den Oberlandesgerichten

Commercial-Court können dabei bei den Oberlandesgerichten für Verfahren mit einem Streitwert ab 500.000 Euro eingerichtet werden. Die Landesregierungen können dabei Zuständigkeiten in den folgenden Bereichen vorsehen:

  • Bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten mit Ausnahme des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts oder des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb
  • Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von Anteilen an einem Unternehmen, sowie
  • Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Mitgliedern des Leitungsorgans oder Aufsichtsrats.

Für die Einrichtung kommt es hierbei jeweils auf die konkrete Verordnung der Landesregierung an. Denn diese können Commercial-Courts auch nur für einen Teil der Sachgebiete einrichten, für die das nach § 119b Abs. 1 S. 1 GVG möglich ist.

Daneben bestehen nach § 119 Abs. 1 S. 4 GVG einige Ausnahmen und Commercial-Courts können nicht eingerichtet werden für

  • Streitigkeiten über die Wirksamkeit oder Rechtmäßigkeit von Beschlüssen von Gesellschaftern oder Gesellschaftsorganen,
  • verschiedene Verfahren im Zusammenhang mit Aktiengesellschaften oder der Europäischen Gesellschaft (SE, Société européenne) nach § 71 Absatz 2 Nummer 4 GVG oder
  • die in § 375 des Gesetzes über Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) aufgelisteten unternehmensrechtlichen Verfahren.

Die Zulässigkeit von Englisch als Verfahrenssprache muss durch die Landesregierung besonders verordnet werden.

Commercial-Chambers – bei den Landgerichten

Commercial-Chambers können nach § 184a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GVG bei ausgewählten Landgerichten als Zivilkammer und/oder Kammer für Handelssachen eingerichtet werden. Zulässig ist das allerdings nur für solche Sachgebiete, für die auch nach § 119b Abs. 1 GVG die Einrichtung eines Commercial-Courts zulässig wäre.

Auch bei den Commercial-Courts gilt: Die Landesregierungen müssen diese nicht für alle in § 119b Abs. 1 genannten Sachgebiete einrichten, sondern können diese auf einige ausgewählte beschränken.

Vorteile in der internationalen Prozessführung

In der internationalen Verfahrensführung bietet die Wahl eines Commercial-Courts oder einer Commercial-Chamber dabei einige wesentliche Vorteile gegenüber einem klassischen Verfahren auf Deutsch:

Englisch als Verfahrenssprache

Sofern die Landesregierungen das jeweils vorgesehen haben, können sowohl vor dem Commercial-Court als auch vor der Commercial Chamber Verfahren nach § 184a Abs. 1 S. 1 GVG vollständig in Englisch geführt werden.

Eine Übersetzung englischsprachiger Urkunden ist dann nach § 184a Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GVG nicht erforderlich. Das Verfahren kann seitens der Parteien auch bilingual in Deutsch und Englisch geführt werden, sofern dies ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart wurde oder keine Partei dem Vortrag in der anderen Sprache unverzüglich widerspricht.

Englisch als Verfahrenssprache lässt in NRW bspw. die Commercial-Court- und Commercial-Chambers-Verordnung (GV. NRW. S. 314) in § 1 Abs. 3 für Commercial-Courts und in § 2 Abs. 2 für die Commercial-Chambers zu. In BW tut dies für Commercial-Court § 7 Abs. 3 ZuVOJu BW und für Commercial-Chambers § 7a Abs. 3 ZuVOJu BW.

Verfahrensorganisation in einem Organisationstermin

Eine Besonderheit des Verfahrens vor den Commercial-Courts oder Commercial-Chambers ist der in § 612 S. 1 ZPO vorgesehene Organisationstermin. Dort treffen Gericht und Parteien frühestmöglich Vereinbarungen über Organisation und den Ablauf des Verfahrens. So können dann gerade bei komplexen Verfahren einzelne Themenkomplexe in einzelnen Terminen behandelt werden. Steht zudem der Fahrplan für die Verhandlungen von Anfang an fest, lässt sich so eine schnelle Abwicklung erreichen.

Verkürzter Instanzenzug

Bei Verfahren vor Commercial-Courts kommt als weiterer Vorteil hinzu, dass durch das Oberlandesgericht als Eingangsinstanz der Instanzenzug verkürzt ist, d. h. der Weg zur Rechtssicherheit weniger lang ist. Gegen Urteile des Commercial-Courts findet ausschließlich die – nach § 614 S. 1 ZPO nicht zulassungsbedürftige – Revision zum Bundesgerichtshof statt.

Wortprotokoll

Nach § 613 ZPO kann zudem über das Verfahren bei dem Commercial-Court oder der Commercial Chamber ein Wortprotokoll erstellt werden.

Voraussetzung: Vereinbarung der Zuständigkeit

Die Zuständigkeit von Commercial-Court und Commercial Chamber setzt stets das Tätigwerden der beteiligten Parteien voraus.

Die Zuständigkeit des Commercial-Courts muss nach § 119b Abs. 2 S. 1 GVG durch die Parteien in der Regel ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart werden. Sie kann allerdings auch dadurch begründet werden, dass eine Partei beim Commercial-Court Klage erhebt, dessen Zuständigkeit in der Klageschrift beantragt und die Gegenseite sich hiernach rügelos einlässt (§ 119b Abs. 2 S. 3 GVG).

Für Commercial-Chambers gilt dasselbe (§ 184a Abs. 3 S. 1 GVG).

Verhältnis zu anderen Zuständigkeiten

Nach § 119b Abs. 1 S. 3 GVG kann sich die Zuständigkeit der Commercial-Courts auch auf Sachgebiete erstrecken, für die ausschließliche Zuständigkeiten bestehen. Solch eine ausschließliche Zuständigkeit kann bspw. die in NRW bestehende Zuständigkeit des Landgerichts Köln für IT-Rechtssachen mit einem Geldwert von über 100.000 Euro nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 JuZuVO NRW sein.

In der entsprechenden Verordnung hat das Justizministerium jedoch bestehende Konzentrationen mit den Commercial-Chambers abgeglichen. Insofern sollte jeweils bei dem Gericht, zu dem eine Konzentration besteht, auch eine Commercial-Chamber bestehen, die angerufen werden kann.

In Baden-Württemberg ist die Situation ähnlich. Dort besteht nach § 13 Abs. 1 ZuVOJu BW eine besondere Zuständigkeit für urheberrechtliche Streitigkeiten, die jedoch für den Bezirk des OLG Stuttgart auch dem LG Stuttgart zugewiesen ist, an dem eine Commercial-Chamber besteht.

Wo bestehen bereits Commercial-Courts und Commercial-Chambers?

Commercial-Courts sind beispielsweise beim Oberlandesgericht Düsseldorf (NRW) und beim Oberlandesgericht Stuttgart (BW) eingerichtet.

Commercial-Chambers bestehen beispielsweise in NRW bei den Landgerichten Düsseldorf, Bielefeld, Essen und Köln. In Baden-Württemberg besteht nur beim Landgericht Stuttgart eine Commercial-Chamber.

In Hessen ist die Einrichtung eines Commercial-Courts und von Commercial-Chambers Mitte 2025 geplant.

Musterklausel Commercial-Courts und Commercial-Chambers

Aufgrund der teilweise komplizierten Landesverordnungen sollte die Formulierung entsprechender Zuständigkeitsvereinbarungen in jedem Fall unter anwaltlicher Beratung (zum Beispiel durch einen Fachanwalt für IT-Recht) erfolgen. Grundlage kann das folgende Muster, basierend auf der Stuttgarter Musterklausel sein:


(1) Ausschließlicher internationaler und örtlicher Gerichtsstand für alle Streitigkeiten zwischen den Parteien aus und im Zusammenhang mit diesem Vertrag, seiner Gültigkeit, Auslegung und Durchführung (einschließlich seiner Anlagen) ist [ORT DES GERICHTS], Deutschland.

(2) Die Parteien vereinbaren die ausschließliche erstinstanzliche Zuständigkeit des Commercial-Courts [NAME DES COMMERCIAL-COURTS] sofern

  1. die Streitigkeit in eines der Sachgebiete nach [NORM IM LANDESRECHT, z.B. für NRW § 1 Abs. 2 Commercial-Court- und Commercial-Chambers-Verordnung und für BW § 7 Abs. 2 ZuVOJu BW] in der jeweils gültigen Fassung fällt und

  2. der Streitwert die in § 119b Abs. 1 GVG genannte Streitwertschwelle erreicht oder überschreitet (aktuell 500.000,00 Euro).

(3) Die Parteien sind sich einig, dass die Streitigkeit von einer Commercial-Chamber des [NAME DES LANDGERICHTS] (Zivilkammer oder Kammer für Handelssachen) entschieden werden soll, sofern

  1. die Streitigkeit in eines der Sachgebiete nach [NORM IM LANDESRECHT, z.B. für NRW § 7a Abs. 2 ZuVOJu BW] in der jeweils gültigen Fassung fällt und

  2. der Streitwert die in § 119b Abs. 1 GVG genannte Streitwertschwelle unterschreitet (aktuell 500.000,00 Euro).

Die funktionelle Zuständigkeit der Zivilkammer oder der Kammer für Handelssachen als Commercial Chamber des Landgerichts [NAME DES LANDGERICHTS] richtet sich nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen.

Entweder Variante 1: Deutsche Verfahrenssprache

(4) Die Parteien sind sich einig, dass das Verfahren nach Abs. 2 oder Abs. 3 in deutscher Sprache geführt werden soll. Die Parteien verzichten auf die Übersetzung englischsprachiger Dokumente, die als Anlagen zu Schriftsätzen vorgelegt oder sonst in das Verfahren eingeführt werden.

Oder Variante 2: Englische Verfahrenssprache

(4) Die Parteien sind sich einig, dass das Verfahren nach Abs. 2 oder Abs. 3 in englischer Sprache geführt werden soll. Die Parteien verzichten auf die Übersetzung deutschsprachiger Dokumente, die als Anlagen zu Schriftsätzen vorgelegt oder sonst in das Verfahren eingeführt werden.

(5) Die Parteien verpflichten sich, die erforderlichen Verfahrensanträge zu stellen, um die Zuständigkeit und Verfahrensführung nach den vorstehenden Absätzen umzusetzen.


Praxistipp

Die Vereinbarung der ausschließlichen gerichtlichen Zuständigkeit von Commercial-Courts und Commercial-Chambers bietet sich vor allem in Rechtsbereichen an, in denen vornehmlich internationale Wirtschafts- und Rechtsbeziehungen bestehen und die Parteien englischsprachige Rechtstexte verwenden und im Wesentlichen auch englisch kommunizieren. Häufig ist die bei deutschen Vertriebsgesellschaften international tätiger Konzerne der Fall. Bei der Gestaltung der Vereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Rahmenverträgen ist allerdings Sorgfalt geboten, da häufig besondere ausschließliche Zuständigkeiten zu berücksichtigen sind.

Über Fabian Müller, M. Iur.

Fabian Müller ist seit 2022 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei TRÖBER@ legal. Er ist auf das Datenschutzrecht spezialisiert und bringt insbesondere technische Erfahrung aus dem IT-Bereich mit.